7 Johann Philipp Schultheiß

Demokraten im Reichsbanner

1924-1933

Schon früh gehörte Nierstein zu den Hochburgen der NSDAP in Rheinhessen. Bereits 1930 stimmten 42 Prozent der Wähler hier für die Nazi-Partei. Vielleicht lag das mit daran, dass die Nazis im Wahlkampf den Winzern versprochen hatten, den Wein zum „Volksgetränk“ zu machen. Der deutsche Weinbau lag seit dem ersten Weltkrieg am Boden, die Winzer durchlebten Krise nach Krise. Den Nazis aber passt der Rebensaft gut in ihre „Blut und Boden“- Ideologie. In einer Weinbaugemeinde wie Nierstein muss das gut angekommen sein.

Der hier in der Ringstraße 1 wohnhafte Johann Philipp Schultheiß trat dieser Entwicklung mit Nachdruck entgegen. Der resolute Bahnbeamte war Vorsitzender der DDP, der Deutschen Demokratischen Partei in Nierstein. Als Vorstand des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, jener Gruppe, die wir auf einer unserer vorherigen Station kennengelernt haben, stellt er sich in den Dienst einer wehrhaften Demokratie und sich damit auch den aufkommenden Schlägertrupps der NSDAP entgegen.

Die Entwicklung in Nierstein während der frühen 1930er wird er in Sorge erlebt haben: Die Gräben zwischen Demokraten und Nazis werden immer tiefer. Aus Niersteiner Nachbarn werden Feinde, aus Freunden im Dorf Gegner. Die politische Kultur verroht, Lügen und Nazi-Propaganda übertönten mehr und mehr Vernunft und Argumente. Sich in Nierstein öffentlich zur Demokratie zu bekennen wird immer gefährlicher – und schließlich lebensgefährlich.

Es kommt der 30. Januar 1933: im fernen Berlin ist Adolf Hitler am Ziel: er wird zum Reichskanzler ernannt. Jetzt sind die Nazis an der Macht. Nicht einmal vier Wochen später, am 28. Februar 1933, haben sie mit der „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ alle wesentlich demokratischen Grundrechte abgeschafft: die Freiheit der Person, die Unverletzbarkeit der Wohnung, das Post- und Telefongeheimnis, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, das Vereinigungsrecht sowie die Gewährleistung des Eigentums. All das wird außer Kraft gesetzt. Zeitungen werden verboten, das Presserecht ausgehebelt. Oppositionelle Parteien und Organisationen werden zermürbt, aufgelöst, verboten. Der Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold als einer der ersten.

Auch in Nierstein fackeln die Nazis nicht lange. Gemeinderat und Vereine werden gleichgeschaltet. Demokraten, Kommunisten und Andersdenkende werden verhaftet und eingesperrt. Auf dem Niersteiner Marktplatz werden sie am 4. April 1933 auf einen Lastwagen gezwungen und unter dem Gejohle der Umstehenden in das keine vier Wochen zuvor eröffnete Konzentrationslager Osthofen deportiert. Am Folgetag erscheint in der der Niersteiner Warte ein Bericht über den Abtransport, in dem die Deportierten als „Volksverräter“ bezeichnet werden“. Nierstein ist, wie ganz Deutschland, in der Diktatur angekommen.

Angesichts der übermächtigen Bedrohung engagiert sich der einst so unbeugsame Bahnbeamte Schultheiß nicht mehr politisch. 1952 stirbt er in Nierstein. Sein Freund und Mitstreiter aber Jakob Schuch, der Zugführer des Reichsbanners, sollte die Nazis nicht überleben. Von ihm hören wir an der nächsten Station hören.

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